Foto: privat
Foto: privat

Norbert Leitgeb

(Lyrik.Treff.Punkt im Gespräch)

von Karin Klug

 

Lieber Norbert,

ich drehe die Uhr ein wenig zurück: du hast an der Technischen Universität Graz studiert und in Folge am Institut für Elektro- und Biomedizinische Technik eine Universitätskarriere begonnen, die dich bis zum Universitätsprofessor für Health Care Engineering geführt hat. Du warst Vorsitzender bzw. Mitglied internationaler Fachausschüsse und nationaler Komitees und hast hunderte von wissenschaftlichen Fachartikeln, Fachbuchkapiteln und Fachgutachten sowie etliche Fachbücher verfasst. Die alles entscheidende Frage also: wie kommt ein hochangesehener Wissenschaftler wie du zur Lyrik?

 

Leitgeb: Das Schreiben ist seit je ein wesentlicher, auch eingeforderter Bestandteil der wissenschaftlichen Tätigkeit, nach dem Motto „nur wer schreibt, bleibt“. Doch während man wissenschaftliche Texte sehr exakt und faktentreu formulieren muss, bot die Lyrik für mich einen reizvollen sprachlichen Kontrapunkt durch die Möglichkeit, fantasievoll zu fabulieren. Dazu ist die strikte, gebundene Form auch eine intellektuelle Herausforderung, unter Einhaltung von Versmaß und Rhythmik ohne lange Umschweife zur Pointe zu kommen.

 

Dann hat dich also die Wissenschaft zur Dichtkunst gebracht? Oder hast du auch schon früher, als Jugendlicher, mit dem fabulieren begonnen? Kannst du dich noch an dein allererstes Werk erinnern? Gibt es das noch?

 

Leitgeb: Eigentlich hatte ich erst als Erwachsener ein „Erweckungserlebnis“, als ich als Ersatzreferent für eine Feier einen mehrseitigen Jahresrückblick in Versen verfasst habe. Obwohl ich dabei mit (heiter verbrämter) Kritik nicht gespart hatte, ist er sehr gut angekommen. Daran habe ich gemerkt, dass gereimte Botschaften bereitwilliger akzeptiert werden. Das zeigt sich ja auch bei Frauen, die bei Liebesgedichten eher dahinschmelzen als bei Prosatexten.

 

Das heißt, dein erstes Gedicht war tatsächlich im wissenschaftlichen Umfeld als beruflicher Jahresrückblick geboren!?! Und dann? Einmal Feuer gefangen... hast du gleich weitergedichtet? Das Ganze gleich einmal im außerberuflichen Kontext probiert?

 

Leitgeb: Ich habe dann tatsächlich Feuer gefangen und intensiver zu dichten begonnen. Allerdings wollte ich meinen wissenschaftlichen Ruf nicht gefährden und habe meinen ersten Gedichtband „Augenzwinkern“ erst veröffentlicht, nachdem mein erstes Fachbuch mit großem Erfolg und gleich von zwei angesehenen deutschen Verlagen, dtv und Thieme, publiziert worden ist.

 

Das Schreiben liegt dir also, so oder so … was haben die Kolleg*innen gesagt, die dich ja eher als (knochentrockenen) Wissenschaftler kennen? Und: was geschah dann? Weitergeschrieben?

 

Leitgeb: Ich muss gestehen, es hat Mut erfordert, sich in einem Techniker-Umfeld noch dazu unter meinem Klarnamen als Lyriker zu „outen“, doch ich war schon immer ziemlich unbeirrbar meine eigenen Wege gegangen und so auch in der Belletristik, wo ich mich ausgerechnet der Mauerblümchen-Sparte Lyrik verschrieben habe. Meine Kollegen haben es toleriert, und die traditionell kritischen Studierenden haben sich zumindest nicht über mich lustig gemacht, was schon als Erfolg zu werten war. Dass ich auch noch weitere erfolgreiche Fachbücher verfasst habe, mag einige Kritiker besänftigt haben.

 

Du hast also ein „Doppelleben“ begonnen, als Wissenschaftler und als Poet… und hast nach „Augenzwinkern“ fleißig weitergemacht. Die Wissenschaft tagsüber und die Dichtkunst bei Nacht – oder wie hast du deine verschiedenartigen Schreibkünste vereinbart? Da muss man ja auch im Kopf hin und herschalten…

 

Leitgeb: Nein. Doppelleben klingt nach Dr. Jekyll & Mister Hyde. Ich bin bloß kein Fachidiot, und wenn mich die Muse geküsst hat, habe ich eben nicht nein gesagt.

 

Die nächste spannende Frage: wie und wo hast du deine (literarischen) Bücher veröffentlicht? Das ist für eine/n Autor/in ja immer ein großes Thema – wie kommen sie zu einem Verlag? Und zu welchem? Die Fachbuchverlage werden vermutlich nicht in Frage gekommen sein…

 

Leitgeb: Während man als erfolgreicher Fachbuchautor von Verlagen umworben wird, wird man als Lyriker eher als Bittsteller gesehen, wenn ein Verlag ein Buch auf Verlagskosten und eigenes Risiko herausbringen soll. Verlage, die ein Buch auf Kosten des Autors produzieren und sich nur auf die honorierte Verleger-Dienstleistung beschränken (aber dennoch die Verlagsrechte beanspruchen), gibt es hingegen zuhauf, von moderaten bis zu Wucherpreisen. Nach wechselvollen Erfahrungen habe ich mich meist für den Eigenverlag entschieden und es nicht bereut.

 

Wie viele Bücher sind es denn im Literaturbereich seither geworden? Du hast ja nicht nur Lyrik verfasst, sondern auch Kurzprosa – da hat sich meines Wissens ein „Joschi“ angesiedelt? Dein alter Ego?

 

Leitgeb: Derzeit halte ich bei 31 Belletristik-Bücher. Mein literarischer Freund Joschi ist vor allem ein Kunstgriff zur Personalisierung der Texte, analog z.B. zu Morgensterns Palmström.

 

Und wie ist der aktuelle Stand? Wie viele Bücher hast du gerade in Arbeit? Die wann erscheinen?

 

Leitgeb: Derzeit sind drei weitere Bücher in verschiedenen Stadien der Fertigstellung, das konkrete Erscheinungsdatum wird von strategischen Überlegungen bestimmt, wie z.B. ein an sich fertiger (zweiter) Weihnachtsgedichte-Band, dessen Erscheinen sich im letzten Jahr gerade nicht mehr ausgegangen ist.

 

Du schreibst zwar im traditionellen Sinn streng in Reimen, greifst aber unverfroren jedes aktuelle Thema auf, das die Menschheit gerade beschäftigt. Und scheust vor keinem Tabu zurück. Ich erinnere mich an ein rasantes Wechselspiel zwischen: wer kommt in den Himmel? Wie geht es einem Klimakleber? Sex, Religion und Rülpsen, gendern, Dating, Weihnachtsmannsorgen, Fallen-Dienstag, Feminismus, Gurgelöl – nichts ist vor dir sicher!

 

Leitgeb: Gerade das reizt mich ja. Wobei es mir aber darauf ankommt, nicht mit erhobenem Zeigefinder besserwisserisch die Welt zu belehren. Ich verpacke meine Botschaften lieber heiter und versuche gerade dadurch zum Nachdenken anzuregen. Das war mir auch in meinen Kinderbüchern ein Anliegen, z.B. in „Dämmerland“, wo zwei Kinder auf ihrer Abenteuerreise in verschiedenen Ländern wie dem (Smog-)Dämmerland, Keinwortland , Mampfland oder Bequemien gesellschaftliche Auswüchse kennenlernen.

 

Neben deiner Autorentätigkeit hast du ja auch noch mit anderen Begabungen aufzuwarten: Du machst herrlich humorvolle, sympathische Zeichnungen, illustrierst deine Bücher und Texte selbst und du bist Musiker, Gitarrist …

 

Leitgeb: Ich habe zum Glück vielseitige Begabungen. Dabei war ich seit je ein Non-Konformist. So habe ich mit klassischer Gitarre begonnen, als Elvis modern war, mich dem Tanzsport verschrieben, als Fußball gehyped wurde und mich fachlich für die Biomedizinische Technik entschieden. Meine technischen Neigungen haben mir genützt, als ich als mittelarmer Student die Wohnungseinrichtung aus Spanplatten getischlert habe und später nach Lesen eines Buches über Baukonstruktionslehre das Familien-Wohnhaus vom Planen und Fundamentieren bis zur Dachdeckung bis auf wenige Arbeiten wie z.B. die Errichtung des Dachstuhls, weitgehend ohne fremde Hilfe errichtet habe. Daher ist meine Freude an der Lyrik keine Überraschung. Nun will ich in Benefizveranstaltungen mit meinen Texten und der Gitarre der Gesellschaft etwas zurückgeben.

 

Ein wahres Multitalent! Und eine gute Einstellung! Was deine künstlerischen Tätigkeiten betrifft – wie wichtig sind dir Kontakte zu anderen Künstler*innen? Bist du ein Netzwerker, stehst du im Austausch mit anderen? Oder bist du eher der einsame Wolf.

 

Leitgeb: Kontakte und Austausch sind mir wichtig, ebenso wie Rückzug für die kreative Umsetzung. Ich halte es mit Paracelsus: Auf die Dosis kommt es an.

 

Noch ein paar Fragen zum Schreibgeschehen: wie und wo schreibst du meist? Eher mit Hand oder gleich in die Tasten getippt? Hast du einen bestimmten Schreibplatz, Lieblingsort zum Schreiben? Und schreibst du einfach drauflos oder wird ein Text vorher durchgedacht, durchkomponiert, vielfach überarbeitet…?

 

Leitgeb: Wenn die Muse küssen will, soll man sich ihr nicht versagen. Daher ist es für mich wichtig, Einfälle möglichst schnell zu notieren, eventuell in Stichworten weiterzuentwickeln, ehe es an den Computer geht, wo ich dann so lange feile, bis Ausdruck und Form stimmen. Holprige Verse und verdrehte Satzstellungen sind mir ein Greul - und meist ja nur Zeichen, dass man sich nicht genug bemüht und die Lyrik nicht ernst genug genommen hat.

 

Du hast Lyrik ein Mauerblümchen genannt. Wie könnte man die Situation verbessern?

 

Leitgeb: Es ist ein brisantes Faktum, dass die sprachliche Ausdrucksfähigkeit in der Gesellschaft immer mehr verkümmert. Die Wichtigkeit von Literatur fürs Lesen und Schreiben zur Entwicklung und Beibehaltung geistiger Fähigkeiten wird heute gefährlich unterschätzt. Wer sich nicht klar ausdrücken kann, kann auch nicht klar denken. Das hat bereits Orwell in seinem „1984“ eindrucksvoll thematisiert. Es bräuchte daher stärkere Bemühungen und neue Wege, zum Lesen anzuregen und Literatur präsenter zu machen. Dazu reichen die kümmerlichen finanziellen Förderungen für Leseveranstaltungen, so wichtig sie sind, nicht aus. Angesichts des geänderten „Konsumverhaltens“ müssen die ausgelatschten Wege neu gedacht werden. Ich denke da an stärkere Präsenz in Schulen, an Schreib- und Lesewettbewerbe, multimediale Literatur-Performances, Bücherverkaufsmessen, besseren, ev. auch geförderten Zugang zu Buchgeschäften, publikumswirksame Bücherbasare sowie attraktivere und kreativere Einbindung von Literatur in Print- und Funkmedien usw. Dazu sollten die verschiedenen Stakeholder besser miteinander vernetzte werden.

 

Hast du zum Abschluss noch eine Anekdote für uns?

 

Leitgeb: Lieber nicht. Eine Aneck-Tote am Ende wäre doch etwas morbid.

 

Lieber Norbert, danke für das Gespräch!

_________________________________

Weitere Informationen zu Norbert Leitgeb:

DI Dr. Norbert Leitgeb, Univ.-Prof.i.R., in Kärnten geboren, in Graz lebend, Wissenschaftler, Gitarrist und Verfasser zahlreicher Fachbücher, Fachbuchkapitel und wissenschaftlicher Publikationen, dazu Autor unterhaltsam-kritischer Essays, humorvoller Lyrik und Kurzgeschichten, erschienen in Literaturzeitschriften und Anthologien - sowie 33 belletristischer Bücher. Mitglied bei der Gesellschaft der Lyrikfreunde und den Steirischen Autoren.

E-Mail: n.leitgeb_at_a1.net

Quelle: https://austria-forum.org/af/Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/klug